The Manifestation

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The Manifestation Bilder: Inês Rebelo de Andrade

Was es bedeutet, Widerstand zu leisten

von Jérôme Quiqueret

Nähert sich Lemi Ponifasio einem Museum, erlebt er eine reflexhafte Reaktion. Es ist das gleiche Gefühl, das ihn beschleicht, wenn er einen Zoo betritt. «Ich fühle jedes Mal, wie dieser innere Vulkan in mir ausbricht», meint er. Er erinnert sich, wie ihm seine Großmutter als Kind erzählte, wie die deutschen Kolonialherren der Samoa-Inseln mit Einheimischen abreisten, die sie dann in ihren zoologischen Gärten zeigten, und wie sie Schätze mitnahmen, die sie in ihren Museen versteckten. Der Zoo und das Museum erscheinen aus dieser Perspektive wie die beiden Seiten derselben «Suprematie», eines Überlegenheitsdenkens von Menschen gegenüber anderen Menschen und der Natur.

Wenn das Museum eine Bruchlinie nachzeichnet

Wo es jetzt darum geht, die letzte Phase des red bridge project anzugehen, d. h. die Zusammenarbeit mit der dritten an diesem Projekt beteiligten kulturellen Institution, dem Mudam Luxembourg – Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, konnte Lemi Ponifasio nicht so tun, als sei nichts gewesen. Es war eine Illusion, zu glauben, dass er das Spiel mitspielt, indem er versucht, seine Regeln zu ändern. Der Künstler aus Samoa glaubt nicht daran, dass man die Museen des Westens dekolonisieren kann. Ihre Fundamente sind der Kolonialismus, der Imperialismus und der Eurozentrismus. Und nichts deutet darauf hin, dass sie an diese Grundlagen herangehen wollen, oder können, ohne ihre eigene Seinsberechtigung in Frage zu stellen. «Die Museen entstanden aus den dominierenden Narrativen der westlichen Kultur heraus und setzen das Erbe der Unterdrückung fort. Ich sehe nicht, warum sie sich davon trennen würden», ist der Einwand von Lemi Ponifasio, wenn man ihn fragt, ob und wie die Museen zu dekolonisieren seien.

Man muss ihm darin zustimmen, dass die Museen Orte der Darstellung kultureller westlicher Erfolgsgeschichten sind und dass dort die Idee verfestigt wird, dass die Werte und Sichtweisen des Westens den anderen überlegen sind. «Museen sind nicht Plattformen, die dazu dienen, ein ehrliches Verständnis und Respekt zwischen den Kulturen herzustellen. Sie stellen vielmehr eine Bruchlinie dar. Und das ist vielleicht auch besser so. So bleiben wir auf der Hut.»

So geht es ihm also vielmehr darum, eine Demonstration gegen – als eine Ausstellung in – einem der «Denkmale der Barbarei» zu veranstalten. Wenn es sich dabei um eine Zeremonie handelt, wie Lemi Ponifasio üblicherweise seine Inszenierungen nennt, um sie aus den typischen westlichen Kategorisierungen herauszuhalten, dann ist es eine «Zeremonie der Empörung», eine Art und Weise, gegen den Status Quo zu protestieren.

Sich um das Leben kümmern

The Manifestation spielte sich in drei Abschnitten ab. Der erste bestand aus einem Festzug, der die drei Partnerinstitutionen des red bridge project miteinander verband, und der die Rote Brücke überquerte, die sie verbindet und die dieser alle drei Jahre stattfindenden Veranstaltung den Namen gab. Die Choreografin Elisabeth Schilling hatte die Vorbereitungen geleitet, indem sie sich über die sozialen Medien an die einzelnen Communities wandte, um gemeinsam in verschiedenen Workshops die mit Lemi Ponifasio entwickelte Idee, «Weaving a vegetal web of care» (also ein pflanzliches Netz der Fürsorge für einander zu weben), umzusetzen.

Dabei handelte es sich um ein Seil von mehr als zweihundert Metern Länge, an dem in regelmäßigen Abständen getrocknete Blumen befestigt waren, die von auto-suggestiven Botschaften begleitet waren. Die Teilnehmer des Festzuges mussten im gleichen Rhythmus voranschreiten, um zu verhindern, dass das Seil riss – eine Aufgabe, die nur gemeinschaftlich Erfolg haben konnte. Sollte das Seil reißen, mussten alle anhalten. So war es die Verbindung aller miteinander, die Aufmerksamkeit füreinander und für die Pflanzen, die wesentlich für einen störungsfreien Ablauf waren, wobei das Hauptaugenmerk der Choreografin auf der Aufmerksamkeit dem eigenen Körper gegenüber und auf der synchronisierten Bewegung mit den anderen Teilnehmern lag. Am Tag des Festzuges sollten die Teilnehmenden Demonstrationstafeln nach ihren eigenen Wünschen anfertigen.

Nach dem Ende des Zuges wurden die getrockneten Blumen und ihre Botschaften an die Teilnehmenden verteilt. Der Brauch, im Sommer Blumen zu schneiden, um sie zu verschenken oder um sie im Haus aufzuhängen, um so die schöne Jahreszeit bis in den Winter hinein zu verlängern – worauf diese Geste anspielt – hat etwas von der Kosmovision, die Lemi Ponifasio so am Herzen liegt. «Die Beziehung zur Natur ist ein Spiegel für die Beziehung, die wir Menschen untereinander haben», erklärt er. Mit seiner Kunst sucht er «das Bewusstsein zu schärfen dafür, was es heißt zu leben und wie wir das Leben mit allen teilen können.» Die Natur ist der menschlichen Existenz nichts Äußerliches, sie ist ein integraler Bestandteil seines Seins.

Indem er die Umgebung des Mudam mit einbezieht und vor dem Gebäude und seinem mitunter als einschüchternd empfundenen Eingang bleibt, lehnt Lemi Ponifasio die Einladung ins Museum ab. So stellt er den öffentlichen Raum und das Museum auf eine Stufe und entzaubert den White Cube.

The Manifestation setzte sich anschließend fort mit den Darbietungen verschiedener Chöre des Landes vor der Philharmonie, wo sich der öffentliche Raum erneut als Alternative anbot für Praktiken und Fragestellungen der Communities, die gemeinhin kein Forum auf einer Bühne finden.

Neue Wege, sich den anderen zu zeigen

Bei Einbruch der Nacht bestand der dritte Teil von The Manifestation aus einer Zeremonie der Sühne, bzw. der Befreiung, unter der Ägide des prophetischen französischen Denkers Antonin Artaud, was die Stimmung der Dämmerung und der Bedrückung noch verstärkte, in die Lemi Ponifasio die Zuschauer versetzt hatte. Es ging darum, mit einem Marsch einzutreten, der an ein Zwangsarbeitslager erinnerte und auf dem Vorplatz des Mudam improvisiert wurde. Die Rollen waren vertauscht. Mitglieder der MAU-Truppe von Lemi Ponifasio, die Nachfahren der Kolonisierten waren, stellten die Kolonisatoren dar und die Wächter über das Lager. Schnell befreiten sich die etwa dreißig Sklaven von ihrem hölzernen Joch, um an einem traditionellen Ritus teilzunehmen. Das Ganze fand statt unter Begleitung des Hörstückes von Antonin Artaud, Pour en finir avec le jugement de Dieu, dessen flammender Text die vorgebliche Überlegenheit des kriegerischen Amerikas anprangert, das darauf bedacht ist, zu produzieren und die Natur zu ersetzen. «Mir ist das Volk lieber, das von der Erde isst, der Erde, aus der es geboren wurde», ruft Antonin Artaud in seinem Text, der von mehreren Rednern in The Manifestation aufgegriffen und gesprochen wurde. Auf die Wände des Museums wurden auch Bilder projiziert – von einem virtuellen Brand des Museums bis zu seiner Einhüllung in die Nationalflagge – und Fotos von den Schülern des Lycée des Arts et Métiers, die über das gesamte red bridge project berichtet hatten.

The Manifestation war das letzte Event des Programms dieser jüngsten Ausgabe des red bridge project. Lemi Ponifasio ging mit einer vertieften Kenntnis von Luxemburg und einem hilfreichen äußeren Blick nach Hause. Wenn er dem Land eine Botschaft hinterlassen müsste, dann wäre es folgende: «Luxemburg ist reich, aber Reichtum allein reicht nicht aus. Das Land hat den luxuriösen Zustand erreicht, in dem es die Menschen über das Materielle hinaus betrachten und in das Bedürfnis der Menschheit nach Sinn, Angeboten und Verbindungen investieren kann. Luxemburg beherbergt viele verschiedene Kulturen, was faszinierend ist, aber um kulturelle Vielfalt zu erreichen, müssen wir neue Wege finden, miteinander zu sprechen, oder neue Wege, um uns anderen zu offenbaren. Dies ist eine edle Herausforderung, insbesondere für die drei machtvollen Kulturinstitutionen des red bridge project.»

 

Jérôme Quiqueret wuchs in Frankreich auf, in den Vororten von Nancy. Abiturient mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften im Jahr 1997, studierte er anschließend Geschichte an der Universität Nancy, wo er im Jahr 2002 seinen Master machte. Seit 2003 lebt er in Luxemburg, wo er als Journalist, unter anderem für Le Quotidien, Le Jeudi, Europaforum und das Tagblatt arbeitet. Er schreibt hauptsächlich über soziale, kulturelle und humanwissenschaftliche Themen. Gleichzeitig ist er Autor literarischer Texte zu historischen Themen. Sein erstes Buch, Tout devait disparaître erschien 2022 im Verlag Capybarabooks und brachte ihm im Jahre 2023 den Prix Servais ein.

Übersetzung: Markus Pilgram